Menschen und Räume

zur Malerei Kai Feldschurs

leerzeile
Rede anlässlich der Einzelausstellung in der Blitzgalerie, Dresden im Januar 2004

Den Maler Kai Feldschur könnte man einen postmodernen Existenzialisten nennen –  er geht von den Grundelementen der Malerei aus, arbeitet konsequent von der Basis dessen her, was die Malerei ausmacht. Cezannes epochemachenden Entdeckungen folgend, fügt er in seinen Bildern Figuren und Raum aus diversen farbigen Flächen zusammen. Solch ein dynamisches Puzzle überwiegend reiner Farben und Formen erzeugt ein Bild, das mehr ist, als die Darstellung eines Augenblicks: eine Stimmung leuchtet zeitlos daraus hervor. In Feldschurs Bildern sind Stimmungen erfasst, für die es selten passende Namen gibt, die wir aber alle kennen: Zwischenräume, sprachliches Niemandsland in dem die Sinne weiter reichen als Worte. Die neutralen Titel der Gemälde sollten nicht darüber hinweg täuschen: Dies ist die  akribische Erforschung der Ausstrahlung von ganz konkreten Menschen und Räumen.
„Ich male, was ich verstehen will.“ sagt Feldschur.

1972 in einer Kleinstadt im Vogtland geboren, beschäftigte sich Kai Feldschur als Jugendlicher intensiver mit Zeichnung, bald auch mit Malerei. Nach seinem Abitur in Chemnitz gestaltet er dort 1991 bis 1993 erste größere Wandbilder und Außenwände. Als er 1995 ein Studium an der Kunsthochschule Berlin Weißensee beginnt, hat er sich bereits für die Malerei entschieden. Diesem Medium bleibt er ebenso wie der Stadt Berlin treu und vertieft mit den Jahren seine Fähigkeiten auf dem Gebiet der Ölmalerei auf Leinwand. Als er nach einem Wechsel an die Universität der Künste 2003 das Studium als Absolvent und Meisterschüler bei Karl Horst Hödicke, einem renommierten Vertreter der legendären „Jungen Wilden“, abschließt, ist er bei seinem künstlerischen Thema angekommen: der Erforschung von Menschen und Räumen mit den Mitteln der Malerei.

***

„Malerei“, definiert Picasso: „ … heißt für mich weder, Bewegung darzustellen, noch die Wirklichkeit in Bewegung zu setzen. Meiner Meinung nach soll sie viel eher die Bewegung aufhalten.“ (Helene Parmelin, Picasso dit … Paris, 1966). Ohne hier einen künstlichen oder gar künstlerischen Zusammenhang konstruieren zu wollen: Genau dies tun die Bilder Kai Feldschurs. Die Menschen und Räume, die er uns zeigt (wobei das Wort Raum fast immer auch im Sinne von „Zimmer“ verstanden werden kann) bieten sich stets im Zustand der Ruhe der Betrachtung dar. Es lohnt sich also länger hinzusehen, zu erspüren, was das Bild in jeder Hinsicht zu sehen aufgibt. Die Figuren sind erkennbar von heute und die Räume sind es auch. Es handelt sich um Abbildungen der Gegenwart, Motive aus der unmittelbaren Lebenswelt des Malers. Eine geliebte oder gehasste Person, ein Zimmer mit Bedeutung für das eigene Erleben oder das eigene Gesicht werden zum Gegenstand der genaueren Betrachtung, zum Objekt einer Meditation über das Erkennen, die mittels Farbe und Form vom persönlichen Gefühl zum Allgemeingültigen blickt. Es ist eine nie endende emotionale Annäherung, eine künstlerische Suche nach Antworten auf die Frage: Was sehen wir wirklich?

„Bilder sind für mich in erster Linie ein sinnliches Erlebnis.“ sagt Kai Feldschur. Bilder zu verstehen bedeutet für ihn vor allem, sich bewusst sehend in sie zu versenken. Seine Malerei wird vom Auge, von der Kunst des Sehens regiert. Von dieser Faszination rührt auch seine Bewunderung für die leidenschaftliche Ausdauer solcher Künstler wie Giacometti, Morandi und anderer her, die zeitlebens immer von Neuem versuchen, den Vorgang des Sehens einzufangen. So könnte an einem einzigen Gegenstand die gesamte atmosphärische Bandbreite des Sehens und seine emotionale Auswirkung auf uns, die Betrachter, Schritt für Schritt erforscht und durchmessen werden. – I see sagt man im Englischen, wenn man ausdrücken will, dass man etwas verstanden hat.

Am Anfang seiner Beschäftigung mit Malerei war Feldschur auch von Größen wie Bacon mit seinen souveränen Kompositionen oder dem Amerikaner Diebenkorn mit seinen Farberforschungen beeindruckt, später erweiterte sich die Liste solcher Namen naturgemäß. Doch von all den geistigen Aha-Erlebnissen kann er heute nur theoretisch ausgehen; in der Praxis des Malens muss man, wie er sagt,  „von diesen Dingen aus weitergehen und seine eigenen Entdeckungen machen.“

Die Komposition eines Gemäldes wird von ihm mit Kohle auf die Leinwand vorgezeichnet, mitunter wurde mit Tusche farbig grundiert, das Bild wird dann mit überwiegend unvermischten Ölfarben ausgeführt. Wenn Sie eines der Bilder von weitem betrachten, können Sie feststellen, wie Feldschur den scheinbaren Nachteil der Malkunst – ihre Zweidimensionalität – in einen Vorteil verwandelt: die optische Einheit der Bildgegenstände erreicht er, indem er gar nicht erst versucht, mit perspektivischen Tricks die Illusion von Raumtiefe zu erzeugen, sondern, indem er mit Farben die Bildfläche gliedert. Bewegung, Tiefe und Stimmung entstehen allein aus den grundlegenden Elementen der Malerei – Fläche und Farbe: Durch konsequent flächenhafte Darstellung erscheinen alle Dinge gleichrangig; es entsteht ein in sich geschlossenes Netzwerk der Reize, in dem menschliche Figuren nahezu gleichbedeutend integriert sind. Auch die Farben betonen eher die Einheit von Person und Welt. „Man muß jeder Farbe ihre Zone lassen, in der sie sich ausbreiten kann.“ sagte Matisse, denn nur so kann jenes Zusammenwirken ungebrochener Farben entstehen, das man als Farbharmonien bezeichnet. Bei Feldschur findet sich eine ganze Reihe von Bildern mit ungewöhnlichen Farbharmonien, die dieses Grundprinzip weiterentwickeln, nicht als spielerischer Selbstzweck, sondern um es auf seine atmosphärischen Möglichkeiten hin auszuloten. „Die vielen ungebrochenen Farben auf mitunter sehr kleinem Raum eng nebeneinander, das hat Kraft.“ sagt der Berliner Maler. „Das kann befreiend, aber auch anstrengend sein. Beides bringt das Auge weiter.“

In etlichen seiner Gemälde, etwa in der „Lesenden“ von 2002, finden sich jedoch auch Passagen, in denen auf eine farbige Ausarbeitung verzichtet wurde. Die Farbgrundierung liegt bloß, die Vorzeichnung erledigt die Arbeit der Bildstrukturierung gewissermaßen allein: Der Weg des Sehens wird offengelegt, das Konstrukt der Malerei sichtbar. Malerei und Zeichnung treten, ihre ewige Konkurrenz gleichsam schlafwandlerisch vergessend,  in stilistische Korrespondenz zueinander. Gesicht, Hände, Füße und Schatten der „Lesenden“ bleiben unausgeführt oder lediglich mit farblichen Assoziationen versehen. „Manche Zustände muss ich unausgeführt stehen lassen.“ erklärt Feldschur. „Das gilt, wenn die Komposition klar ist, wenn jeder sehen kann, worauf es inhaltlich hinausläuft. Wenn ein Bild in sich stimmt und seine Wirkung bereits entfaltet, wäre es geradezu selbstzerstörerisch, bestimmte Einzelheiten noch weiter auszuillustrieren.“

Wie bei der „Lesenden“ gilt für Feldschur vor allem der Zusammenhang, in dem jedes Detail steht, der Zusammenklang der Elemente ist das Entscheidende. Besonders aufschlussreich ist es deshalb, wenn, wie in dieser Ausstellung zu sehen, Motive der Gemälde auch in Feldschurs Radierungen (seiner zweiten, „kleinen“ Leidenschaft) auftauchen: eine Idee wird noch aus anderer Perspektive sichtbar, und es zeigt sich, wie genau es Feldschur bei allen technischen Unterschieden mit dem Hinsehen und mit dem optischen Erzeugen intensiver Atmosphären nimmt.

***

Kai Feldschur hatte sich in den Jahren seines Studiums oft Gedanken darüber gemacht, ob die Malerei an sich überhaupt eine Zukunft haben wird, ob nicht das installationstrunkene Zeitgeistgerede vom Ende der Malerei sich bewahrheiten könnte. Zum Glück für ihn und uns sieht es ganz so aus, als haben diese Sorgen sich erledigt. Bestimmte Dinge sind vielleicht nicht neu, was noch lange nicht heißt, dass sie nicht gut sind – ein klares Glas Wasser schmeckt auch hundert Jahre nach der Erfindung der Coca Cola noch sehr belebend. Kai Feldschurs Bilder tragen ein evolutionäres Moment in sich, die es spannend machen, Bild  für Bild und Motiv für Motiv zu betrachten und zu vergleichen – und die es, je mehr man sich damit beschäftigt, umso spannender machen, zu erfahren, wie es weiter geht innerhalb der „Feldschur‘schen“ Evolution des Sehens. „Ich kann es nicht erklären“, sagt der Kai Feldschur. „Aber ich kann es malen. Die Bilder sollen sprechen.“

Martin Jankowski

 

Martin Jankowski, Jahrgang 1965, lebt als Schriftsteller und Herausgeber in Berlin. 1999 erschien sein Roman „Rabet oder Das Verschwinden einer Himmelsrichtung“. Kunsttheoretische Texte von ihm entstanden u. a. für das Berliner Ethnologische Museum und die Sammlung Berggruen. Jankowski ist seit 1995 mit den Arbeiten Kai Feldschurs vertraut.
www.martin-jankowski.de